Als Jeppe Nedergaard vor sieben Jahren die Kunstschule in Sønderborg besuchte, hatte er noch nie zuvor gemalt. Früher hatte er zwar Graffitis gezeichnet und gemalt, aber die Kunst der Malerei war für ihn ein komplett neues Feld. Heute hat er seinen Stil in Kontrasten und im halbabstrakten Ausdruck gefunden und lebt von seiner Kunst, die primär in der Galerie Maxus101 in Augustenborg verkauft wird.

Kulturleben

Mit den Worten „Hier geht es lang“ lässt der Künstler Jeppe Nedergaard die Mitglieder von GOTO Sønderborg am Eingang des ehemaligen psychiatrischen Krankenhauses in Augustenborg eintreten.

Wenn man die Treppe hinaufsteigt und einen verlassenen, eiskalten Krankenhausflur entlanggeht, denkt man unwillkürlich an Szenen aus der legendären TV-Serie der 90er-Jahre „Hospital der Geister“ von Lars von Trier. Jeppe Nedergaard lächelt über diese Bemerkung und führt uns in ein ehemaliges Krankenhauszimmer auf diesem Flur, das jetzt als sein Atelier fungiert.

Der Raum wird durch zwei große Fenster mit Blick auf den Schlosspark erhellt. An einem Ende steht eine Staffelei, die eine große Leinwand trägt, auf der die ersten Pinselstriche in schwarzen und roten Farbtönen eine Frau erkennen lassen. Am anderen Ende – neben Werken, die im Winter badende Frauen zeigen – stehen zwei Stühle. Hier setzt er sich hin, um seine Bilder während des Entstehungsprozesses zu betrachten. In der Tat muss man etwas weiter weg stehen, um die Werke in ihrer vollen beabsichtigten Wirkung zu sehen. Aus der Nähe sind sie abstrakt.

Für Jeppe ist seine Kunst kein Hobby. Die Kunst ist für ihn vielmehr schon beinahe ein Drang. Sie bietet ihm einen Ort, an dem er sich frei fühlen kann.

„Ich würde sogar so weit gehen, dass ich es eine Berufung nennen würde. Als ich jünger war, habe ich Rapmusik gemacht, und damals gab mir das Musikstudio dieses Freiheitsgefühl. Dies ist ein Gefühl, als wäre ich außerhalb meines Körpers – als würde ich fliegen. Auf diese Weise fühle ich mich heute, wenn ich vor einer weißen Leinwand stehe und zu malen beginne“, erklärt er.

Als er im Jahr 2017 den Malkurs an der Sønderjyllands Kunstschule in Sønderborg begann, tat er dies mit der Absicht, eine Disziplin zu erlernen, die er gerne wirklich beherrschen wollte. Seit seiner Kindheit hatte er viel gezeichnet und in seiner Jugend Graffitis gemalt, sodass der künstlerische Ausdruck für ihn schon immer eine Selbstverständlichkeit war.

 

Die künstlerische Karriere startete durch

Jeppe Nedergaard ist 43 Jahre alt, verheiratet mit Gitte Nedergaard und Vater von vier Mädchen im Alter von 4, 6, 10 und 14 Jahren. Zu Beginn nutzte er den Hauswirtschaftsraum im Haus der Familie in Dybbøl als Atelier. Jacken und Schuhe wurden zum Schutz mit Plastikplanen abgedeckt, während seine Bilder Gestalt annahmen. Heute erinnert eine bunte Reihe von Flecken auf dem Boden, dem Tisch, der Spüle und den Schranktüren daran, wie weit er gekommen ist, seit er damit begonnen hat, sich mit Pinsel und Leinwand in dem engen Haushaltsraum zu entfalten.

Nach einer Zeit als Hobby-Atelierkünstler im Verein Kunstværket im alten Rathaus von Augustenborg beschloss er vor etwas mehr als einem Jahr, seinen Vollzeitjob als Grafiker aufzugeben, um professioneller Künstler zu werden. Gleichzeitig zog er mit seinem Atelier in das ehemalige psychiatrische Krankenhaus um.

Dieses ehemalige Krankenhaus, das heute den Namen Augustenborg Projects trägt, ist im Besitz von Mark Augustenborg Ødum und dient als Kunstzentrum. Im Erdgeschoss wurden die Räumlichkeiten in die größte Galerie Dänemarks umgewandelt und diese beherbergen ein Gourmet-Café mit Blick auf den friedvollen Schlosspark, der fast lucianisch anmutet und nur einen kurzen Spaziergang vom Wasser entfernt ist.

„Diese Werke wurden durch die Festungsanlage in Dybbøl inspiriert“, erklärt Jeppe Nedergaard und zeigt auf zwei Gemälde mit groben Objekten in Grau und Schwarz. Die Objekte sind in eine Landschaft mit sanften Grüntönen und einem weiß-blauen Himmel hinter dem Horizont eingebettet. Sie sind Teil der Ausstellung „211 km“ in der Galerie Maxus101. Maxus101 ist der Name der Galerie im Erdgeschoss, die von dem Kurator Anthon Maxus Christophersen betrieben wird.

„Ich mag das Rohe und das ein wenig Abstrakte. Man wird beim Deuten herausgefordert und man muss eine eigene Interpretation finden. Das Grobe im Weichen sorgt für einen melancholischen Ausdruck, der in meinen Bildern stets zu finden ist. Die Welt ist sehr vielschichtig – insbesondere in Zeiten der Corona-Pandemie und jetzt mit dem Krieg in der Ukraine. Dies möchte ich durch Schicksale und Kontraste vermitteln“, führt er aus.

Diese Kontraste sind auch in seiner Ausstellung mit Bildern zu finden, welche die Sønderborg Garde zeigen. Auf diesen Bildern hat er die jungen Musiker und Musikerinnen in ihren traditionellen weiß-roten Trachten porträtiert, als Ausdruck der Festtage in Sønderborg, die Unbeschwertheit, Freude und ein Gemeinschaftsgefühl ausstrahlen. Die fröhliche Stimmung wird durch einen Hintergrund in Schwarz- und Grautönen gebrochen.

„Dieses Bild trägt den Namen ‚The show must go on'“, erzählt Jeppe und bezieht sich auf ein Gemälde, auf dem eine Gruppe der Garde dicht beieinandersteht.

„Die Sønderborg Garde gibt es bereits seit dem Jahr 1980, sie hat also schon viele gesellschaftlich schwierige Zeiten miterlebt. Dennoch sind sie immer aufgetreten und haben dazu beigetragen, die Stimmung der Menschen zu heben. Ich erlebe dies erst jetzt selbst, weil ich sie als Kind nie gesehen habe. Heute werfen die Corona-Pandemie, der Krieg in Europa und die Inflation einen Schatten auf unser Leben. Aber die Gardisten spielen weiter und erinnern uns daran, dass auch die schwierigen Zeiten vorbeigehen werden“, erklärt er.

 

Anerkennung – auch außerhalb von Dänemark

Heute verdient Jeppe Nedergaard mit seiner Kunst seinen Lebensunterhalt. Die meisten seiner Werke werden in der Galerie Maxux101 im Erdgeschoss zu Preisen zwischen 13.000 DKK und 40.000 DKK verkauft. Obwohl er sehr froh darüber ist, dass er sich seiner Kunst widmen kann, ohne dass seine Familie Kompromisse in Bezug auf ihren Lebensstandard eingehen muss, sieht er sich noch am Anfang seiner Karriere.

„Ich muss noch viel an meinem Ausdruck und meinem Stil arbeiten, deshalb sehe ich dies erst als einen Anfang. Mein Ziel ist es, ein anerkannter Künstler im In- und Ausland im Bereich der figurativen modernen Kunst – also der Contemporary Art – zu werden. Ich möchte gerne bald einmal nach New York reisen und dort ausstellen“, führt er aus.

Jeppe Nedergaard hat früher viel gezeichnet, Graffitis gemalt, zwei Alben mit seiner Rapmusik veröffentlicht und war ein waschechter Hip-Hopper mit einem eigenen Skater-Shop. All dies ist in Sønderborg geschehen. Für ihn hat die Stadt dazu beigetragen, die Möglichkeiten und die Erfolge zu schaffen, die er erlebt hat.

„Es hat einen großen Einfluss gehabt, dass die Lebenshaltungskosten hier so niedrig sind, sodass ich die Freiheit hatte, Projekte in Angriff zu nehmen und auch wirklich umzusetzen. Als junger Rapper wurde ich von MC Clement inspiriert, der zum einen im örtlichen Jugendclub Rottehullet probte und zum anderen ein landesweit anerkannter Künstler war. Auch heute noch bietet mir Sønderborg viel Positives, indem dieser Ort es mir erlaubt, diese Räumlichkeiten zu nutzen und zusammen mit renommierten Künstlerinnen und Künstlern unten in der Galerie auszustellen“, betont er.

Jeppe Nedergaard schätzt seine künstlerische Freiheit und nimmt keine Auftragsarbeiten an. Einer der wenigen Aufträge, die er angenommen hat, ist auf dem Cover des Albums „Carnival“ des bekannten Rappers Gilli zu sehen. Hier hat er die Karnevalsatmosphäre von Rio de Janeiro in Form einer bunten Sambatänzerin dargestellt.